K7    Herleitung der Formel für die Geschwindigkeitsaddition aus dem Epstein-Diagramm


Auf p.58 in D3 haben wir einen Beweis der relativistischen Formel für die Addition von Geschwindigkeiten angekündigt, der auf die Lorentz-Transformationen verzichten kann und direkt auf das Epstein-Diagramm zu Raum und Zeit aufbaut. Grundlage dazu ist eine Zeichnung von Epstein selber im Anhang A der zweiten Auflage von [10]. Diese Figur wird hier so wiedergegeben, wie sie den Beweis am besten unterstützt:

Links in der Figur sieht man das Epstein-Diagramm zu folgendem Vorgang: Blau bewegt sich mit w’ im Bezugssystem von Rot, es ist also sin(β) = w’/c. Die Eigenlänge der zurückgelegten Strecke ist AB, für Blau dauert der Vorgang AF, während Rot dafür die Zeit AG = AK misst.

Rechts sieht man, dass sich Rot relativ zu Schwarz bewegt, es sei wie immer sin(α) = v/c. Für Schwarz bewegt sich Blau ebenfalls vom Anfang der Strecke CD bis zum Ende derselben (in I befindet sich Blau am Ort von O !). Die Zeitintervalle, die Rot und Blau für diesen Vorgang messen, sind unverändert (CM = AK respektive CH = AF), und auch die Eigenlänge der von Blau aus der Sicht von Rot  zurückgelegten Strecke ist unverändert (AB = CD = QO).

Das Additionstheorem ist bewiesen, wenn wir zeigen können

Wir werden nicht alle der nachfolgend aufgeführten Strecken benötigen. Zudem ist natürlich deren physikalische Bedeutung für den Beweis irrelevant:

AK = AG = BL = CM = EO   wwwwwwww Dauer des Vorgangs für Rot
AB = FG = KL = CD = QO Eigenlänge der Laufstrecke für Rot
AF = BG = CH = EI   Dauer des Vorgangs für Blau
CE = HI = MO     Laufweg von Blau für Schwarz
CI = CQ = CP  Dauer des Vorgangs für Schwarz


Die Rechnung ist schliesslich recht einfach:

Die Interpretation dieser Rechnung ist nun dem Leser überlassen: Geht man davon aus, dass wir das Additionstheorem der Geschwindigkeiten ja bewiesen haben, dann prüft diese Rechnung die Korrektheit der nebenstehenden Konstruktion des Winkels γ . Sieht man aber die Korrektheit der Konstruktion physikalisch ein, so beweist obige Rechnung das Additionstheorem, ganz unabhängig von den Formeln für die Lorentz-Transformationen! Die Figur zeigt, wie man zu den Abkippwinkeln α und β den passenden Winkel γ konstruiert, und wir haben jetzt gezeigt, dass die Formel weiter oben die zur Konstruktion passende algebraische Berechnung angibt.

Es braucht schon einige Erfahrung im Umgang mit Epstein-Diagrammen, um die Korrektheit der Konstruktion zweifelsfrei zu erkennen. Es ist also kaum der Zugang, der sich didaktisch empfiehlt. Dennoch zeigt die Zeichnung von Epstein klar einige der wichtigsten Aspekte: Da die Eigenzeit des Vorgangs für Blau eine Invariante ist (AF = BG = CH = EI), muss die Addition zweier Geschwindigkeiten, die kleiner sind als c, immer eine Geschwindigkeit ergeben, welche selber auch kleiner ist als c. Bewegt sich Blau horizontal für Rot (also wie Licht mit c), dann wird sich Blau auch horizontal bewegen für Schwarz:  v ⊕ c = c.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals Alfred Hepp danken, der mich überhaupt erst auf den Anhang A in der zweiten Auflage von [10] aufmerksam gemacht hat. Er hat mich auch hartnäckig dazu angehalten, die Konstruktion von Epstein zu einem Beweis des Additionstheorems allein auf der Grundlage der Epstein-Diagramme auszubauen. Unzufrieden mit meinem ersten Beweis hat er auch wesentlich dazu beigetragen, dass die hier vorliegende, viel einfachere Rechnung gefunden worden ist.



Noch eine Anregung: Die ‘Hosenknopf-Addition’ ⊕ macht aus dem offenen Intervall ]-1,1[ eine kommutative Gruppe. Neutralelement ist die Null und das Inverse von v ist -v. Die Addition ist auch monoton in dem Sinne, dass aus  a < b  folgt  a ⊕ d  <  b ⊕ d. Begründe die Assoziativität dieser Addition erstens physikalisch und zweitens algebraisch! Warum muss man die beiden Randpunkte 1 und -1 ausschliessen?