K10 Messen und Sehen in der SRT
Messen und Sehen bedeutet nicht dasselbe. Eine Messung vornehmen bedeutet typischerweise, mit einer Uhr am Orte des Geschehens die Zeit zu ‘stoppen’, das heisst, an einem bestimmten Ort einen Zeitpunkt zu erfassen. Mit Sehen bezeichnen wir den Vorgang, bei dem wir an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt die optischen Signale registrieren, die von allen möglichen Orten her zu jenem Zeitpunkt gerade eintreffen. Sehen ist also vergleichbar mit dem Fotografieren. Auf einer Astrofotografie mit einer Belichtungszeit von 0.1 Sekunden können wir gleichzeitig den Neumond sehen, wie er vor einer guten Sekunde ausgesehen hat, den Planeten Mars, wie er vor einer Viertelstunde ausgesehen hat, und noch den Saturn dank dem Licht, das er vor mehr als einer Stunde reflektiert hat! Würden wir die Aufnahme länger belichten (einige Minuten reichen schon dafür), so könnten wir vielleicht noch schwach eine Galaxie erkennen, abgebildet durch Photonen, welche schon vor Millionen von Jahren auf den Weg geschickt worden sind!
Es ist also möglich, Dinge zu sehen, die längst nicht mehr existieren. Der Ausbruch einer Supernova in der Grossen Magellanschen Wolke, einer kleinen Begleitgalaxie unserer Milchstrasse, hat sich vor etwa 163'000 Jahren abgespielt, wenn wir ihn heute beobachten. Die Laufzeit des Lichtes muss man aber auch berücksichtigen, wenn man sich überlegt, wie man ein Objekt sehen würde, welches sich sehr schnell bewegt. Betrachten wir die folgende Zeichnung aus [25-85]:
Photonen verlassen die Ecken A und B des Bahnwagens. Die Photonen von B können aber nicht zu uns gelangen.
Erst jetzt (nach der Zeit ∆t) werden die Photonen von den vorderen Ecken C und D ausgesandt, welche gleichzeitig mit denen von der Ecke A unser Auge erreichen werden.
So würde sich der Wagen präsentieren, wenn es die Lorentz-Kontraktion nicht gäbe!
So sehen wir den Wagen tatsächlich, da ja der Abstand der Ecken C und D infolge der hohen Geschwindigkeit v geschrumpft ist.
Das ist exakt die Ansicht, welche wir auch vom Wagen hätten, wenn er um den Winkel α mit sin(α) = v/c von der Blickrichtung weggedreht wäre.
Dass der Wagen sich abgedreht präsentiert ist aber nur unsere
3d-Interpretation des 2d-Bildes, welches wir von der Situation haben!
Mindestens so richtig wäre die Interpretation, dass der Wagen lorentz-gestaucht und auch noch schiefgedrückt worden ist. Allerdings würde einem diese Deutung rein optisch etwas schwerer fallen. Sie passt aber viel besser auf die Transformation der Dichte !
Diese Hinzufügung stammt natürlich nicht vom Autor von [25].
Unterdessen gibt es eine ganze Fraktion innerhalb der Relativitätsgemeinde, welche die heute verfügbare Rechenleistung ausnutzt um zu zeigen, wie zum Beispiel ein Flug durch das Brandenburger Tor mit 0.95·c visuell erlebt würde. Manchmal werden dabei sogar die Farbveränderungen durch den optischen Doppler-Effekt berücksichtigt. Natürlich muss man dann das Ganze wieder in Zeitlupe abspielen, damit es für einen menschlichen Betrachter nicht zu schnell abläuft. Eine erste Adresse für solche Visualisierungen ist www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de
Hinter dieser Adresse steht in erster Linie Ute Kraus von der Universität Tübingen. Ihre Gruppe hat für das Einstein-Jubeljahr 2005 auch relativistische Fahrrad-Touren durch die Altstadt von Tübingen respektive Bern realisiert. In den Ausstellungen in Ulm und in Bern konnte sich der Besucher auf ein (festmontiertes) Fahrrad schwingen und lospedalen. Seine Fahrgeschwindigkeit wurde dann von einem Rechner für die auftretenden Effekte von 30 km/h auf 300’000 km/s gestreckt. Damit man aber in den engen Gassen doch noch die Kurve kriegte (und überhaupt noch etwas sehen konnte!), zogen die Häuser mit der ungestreckten Geschwindigkeit am Radelnden vorbei.
Wenn Sie an solchen Visualisierungen Freude haben, sollten Sie unbedingt einen Besuch auf der oben empfohlenen Internetseite machen. Sie finden dort auch Literaturhinweise und anderes weiterführende Material rund um die Relativitätstheorien von Albert Einstein.