E4    Energie hat also Masse. Wieviel Masse hat denn 1 Joule ?


Wenn wir ein Objekt der Ruhemasse mo aus der Ruhe beschleunigen, so hat es nachher also nicht nur eine Geschwindigkeit und kinetische Energie, es hat auch eine grössere Masse mv . Diesen Vorgang wollen wir nun rechnerisch behandeln, um die Massenzufuhr, die mit einer bestimmten Energiezufuhr verbunden ist, quantitativ bestimmen zu können. Wir wollen dieses wichtige Resultat exakt herleiten und brauchen dazu die Integralrechnung, allerdings nur in einem Umfang, wie sie jeder Schülerin vor dem Abitur oder der Matura zur Verfügung steht. Die Physik dient auch der Mathematik, wenn sie zeigt, wie leistungsfähig die formalen Methoden sind, die in der Mathematik entwickelt werden.

Die kinetische Energie ist gleich der investierten Beschleunigungsarbeit, und diese erhalten wir als Integral über  F·ds , wobei wir über die Beschleunigungsstrecke integrieren müssen:

∆W = ∫ F·ds = ∆Ekin = Ekin ( das letzte Gleichheitszeichen gilt nur für  vo = 0 )

Nach Newton ist die Kraft F die zeitliche Änderung des Impulses:      F = dp / dt = d(m·v) / dt
Dies benützen wir, um das Integral über F·ds umzuschreiben:



Statt über die Beschleunigungsstrecke können wir jetzt über die Geschwindigkeitszunahme integrieren:



Um etwas Vertrauen in diese Umformung herzustellen berechnen wir zuerst, was wir damit im  klassischen Fall erhalten. Dort ist die beschleunigte Masse konstant, und die Ableitung von m·v nach v liefert einfach m . Wir erhalten damit nach ( 1 ) das folgende Resultat:



Wir erhalten für die kinetische Energie den vertrauten Ausdruck, womit hoffentlich das Misstrauen gegenüber dem Jonglieren mit den dv’s und dt’s etwas kleiner geworden ist!


Welchen Wert hat der Ausdruck  d(m·v)/dv  in der relativistischen Rechnung? Es ist



Dieser Ausdruck wird gelegentlich auch die ‘longitudinale Masse’ genannt. Wir betonen aber, dass es nur einen Ausdruck für die träge Masse eines Körpers gibt, nämlich    mv = mo / √ , und dieser ist richtungsunabhängig. Man hat von der longitudinalen und transversalen Masse gesprochen bevor geklärt war, dass sich Kräfte und Beschleunigungen verschieden transformieren für die Richtungen parallel und senkrecht zu v.

Damit können wir ( 1 ) auch im relativistischen Fall durchrechnen:




Damit haben wir den gesuchten Zusammenhang zwischen der zugeführten Energie ∆E (oder der geleisteten Arbeit ∆W) und der damit bewirkten Massenzunahme ∆m gefunden. Die resultierende Formel ist derart einfach, dass sie eine seltsame Popularität erlangt hat.

 


So ziemlich alle Clichées bedient die Illustration auf dem Umschlag des sonst ganz pfiffigen Büchleins ‘Einstein für die Westentasche’ von Ernst Peter Fischer zur SRT. Dabei darf natürlich auch die Formel E = mc2 nicht fehlen ...



Die US-Navy hat die Formel sogar noch etwas verbessert, um damit das 40-jährige Jubiläum von atomgetriebenen Flugzeugträgern zu feiern. Als ‘Pixel’ werden dabei Matrosen verwendet:

 


Zurück zur Physik. Wir wollen in einer roten Kiste festhalten, was Einstein später als das wohl bedeutendste Ergebnis der SRT bezeichnet hat:

1 Joule zugeführte Energie bewirkt also eine Zunahme der Masse um 1 kg dividiert durch c2 . Hier sind wir froh, dass wir c nicht mit 1 normiert haben, da sonst dieser Umrechnungsfaktor zwischen der Energie und der Masse nicht so klar zutage getreten wäre!
Mit unserer Herleitung haben wir auch den in der SRT korrekten Ausdruck für die kinetische Energie gefunden:

 

Dass diese Formel für kleine Geschwindigkeiten in den klassischen Ausdruck 0.5·mo·v2 übergeht ist nicht offensichtlich. Wenn Ihnen die Graphik auf der folgenden Seite nicht genügt, dann können Sie das auch so erkennen: Entwickeln Sie den Term 
1/√  = ( 1 - (v/c)2 ) -1/2 = ( 1 - x2 ) -1/2 für x in eine Potenzreihe (nehmen Sie eine Formelsammlung oder ein Computer-Algebrasystem zuhilfe) und streichen Sie dann (für kleine Werte von x) in dieser Potenzreihe die Glieder vierter und höherer Ordnung.

Die Beziehung  ∆E = ∆m·c2 hat Einstein übrigens erst kurz nach dem Erscheinen von [23] gefunden und im Herbst des Jahres 1905 quasi als Nachtrag mitgeteilt [24]. Schon 1901 hat Walter Kaufmann (1871-1947) aufgrund von Messungen an schnellen Elektronen eine Abhängigkeit der ‘transversalen Masse’ von der Geschwindigkeit erwogen. Wegen der fundamentalen Bedeutung der Formel ist sie experimentell immer wieder geprüft worden. So haben 2005 zwei Forschergruppen in Kanada und den USA die Genauigkeit offenbar auf 1 zu 1 Million steigern können [nature 438, 1096-1097, mitg NZZamSo]. Und, vor allem: In keinem der vielen Experimente konnte je eine Abweichung von Einsteins Formel nachgewiesen werden! Theorien können ja durch Experimente nicht bestätigt, wohl aber falsifiziert werden.


Wir wollen noch die kinetische Energie nach der klassischen und der relativistischen Rechnung in einem Diagramm vergleichen. Wir zeichnen dafür
Ekin / Eo auf für Werte x = v/c  von 0 bis 1. Dem klassischen Verhalten entspricht die blaue Kurve mit  y = 0.5 · x2, während das relativistische durch die rote Kurve mit  y = 1 / √(1 – x2) – 1  wiedergegeben wird:

 

Man sieht schön, dass die Kurven erst für grössere Geschwindigkeiten voneinander abweichen. Elektronen können aber schon durch technisch gut handhabbare Beschleunigungsspannungen auf 0.8·c beschleunigt werden und zeigen dann deutliche Abweichungen vom klassischen Verhalten (Experimente von Kaufmann, Aufgabe 4).

 

Sehr schnelle Teilchen ( v ≈ c ) ermöglichen auch eine sehr schnelle Herleitung der Beziehung zwischen der Massenzunahme und der zugeführten Energie. Ein Teilchen habe bereits eine Geschwindigkeit, die sich nur noch um Bruchteile von Promillen von c unterscheide. Die ganze zugeführte Energie kommt praktisch nur noch der Erhöhung der Masse zugute. Es gilt dann in guter Näherung

p = mv·v ≈ mv·c      und daher       dp/dv = c · dm/dv . Wir erhalten nun sofort       dW  =  (dp/dv)·v·dv  =  c·(dm/dv)·c·dv  =  c2·dm

und sind schon fertig: Die Massenzunahme ist der Energiezufuhr proportional, und der Proportionalitätsfaktor ist dabei das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ! Diese Rechnung ist eigentlich das Pendant zur klassischen Rechnung, die wir am Anfang des Abschnittes gemacht haben und bei der wir zusätzlich angenommen haben, dass m konstant sei.


Das Produkt einer Masse mit dem Quadrat einer Geschwindigkeit stellt (wie man schon lange weiss) also eine Energie dar. Wir haben hergeleitet:

∆W   =   mv·c2 -  mo·c2 =   ∆m·c2 =   Ekin =   mo·c2 ·(1/√  – 1)

Der Ausdruck  mo·c2 gibt die Energiemenge an, welche der Ruhemasse entspricht, welche das Objekt schon vor der Beschleunigung besessen hat. Man nennt mo·c2 daher die Ruheenergie des Objekts und schreibt dafür Eo . Der Ausdruck  mv·c2 steht dann für die Summe der Ruheenergie und der kinetischen Energie, also für die Gesamtenergie des Objekts. Diese werden wir mit Etot bezeichnen.