B3 Tertio: Schnelle Massstäbe sind kürzer
Es sei A das ruhende, ungestrichene, schwarze Inertialsystem, in welchem sich das zweite, gestrichene, rote System B mit konstanter Geschwindigkeit v entlang der x-Achse bewegt:
Die SRT soll in folgendem Sinne konsistent sein: A und B machen beide dieselben Aussagen darüber, welche Zeitintervalle oder Längen in A und B gemessen werden. Sie werden zwar nicht dieselben Werte messen, aber sie können sich beide ausrechnen, was der andere gemessen hat, und sind sich über diese Messwerte einig. Wir wollen daraus den folgenden wichtigen Schluss ziehen: Bewegt sich B für A mit v in positiver x-Richtung, so bewegt sich A für B mit der Geschwindigkeit -v in der x’-Richtung! Beide haben nebst der Lichtgeschwindigkeit c noch als weitere Gemeinsamkeit den Betrag der Relativgeschwindigkeit. Die meisten Autoren gehen davon aus, dass das selbstverständlich ist. Ist es das wirklich?
Wir überlegen uns, was denn sonst möglich wäre: Nehmen wir an, dass B eine Relativgeschwindigkeit u der beiden Systeme misst mit |u| < |v| . Auch A weiss dann, dass der schnelle B eine kleinere Relativgeschwindigkeit misst. Wenn der Raum isotrop ist (keine Richtungen ausgezeichnet sind) und die SRT im obigen Sinn konsistent ist, dann ist die Situation vollkommen symmetrisch, und auch B wird feststellen, dass der schnelle A eine kleinere Relativgeschwindigkeit der Systeme misst als B. Damit haben wir aber schon einen Widerspruch: Für die Beträge der Relativgeschwindigkeiten folgt daraus v < u < v , was nicht möglich ist. B kann also weder eine kleinere noch eine grössere Relativgeschwindigkeit der beiden Systeme messen als A, es muss gelten u = -v und |u| = |v|.
Nun habe A in seinem System 2 synchronisierte Uhren im Abstand ∆x stehen. B fliege mit der Relativgeschwindigkeit v über diese Strecke hinweg und stoppe dabei mit seiner Uhr die Zeit ∆t’, die zwischen den Begegnungen mit den beiden Uhren von A verstreicht. B rechnet sich daraus den Abstand der beiden Uhren im System A aus: ∆x’ = v · ∆t’ . Was beobachtet dabei A? A misst mit seinen beiden synchronisierten Uhren, die den Abstand ∆x haben, ebenfalls die Zeit ∆t zwischen den beiden Uhrenbegegnungen und rechnet sich daraus die Geschwindigkeit v von B aus: v = ∆x / ∆t . Daraus ergibt sich die Gleichung
und somit
wenn wir noch das Ergebnis des letzten Abschnittes verwenden. Die im System A ruhende Strecke der Länge ∆x erscheint vom System B aus verkürzt um den uns schon bekannten Wurzelfaktor!
Nun haben wir die x-Richtung (welche mit der x’-Richtung und der Richtung der Relativgeschwindigkeit immer übereinstimme) bevorzugt behandelt; eigentlich wissen wir erst, dass Längen von schnellen Strecken und Objekten in Richtung der Relativbewegung verkürzt gemessen werden. Wie verhält es sich aber in den dazu senkrecht stehenden Richtungen?
Stellen wir uns einen Einstein-Zug vor, der mit der Geschwindigkeit v = 0.6·c in x-Richtung auf einer langen geraden Bahnstrecke dahingleitet. Hat der Zug in seinem eigenen Bezugssystem die Länge 300 m, so messen wir an ihm eine verkürzte Länge von 240 m (rechne!). Ist er dabei auch schmaler geworden? Wenn ja so müsste er ab einer bestimmten Geschwindigkeit zwischen die (ruhenden) Geleise fallen. Das wäre ja immerhin möglich. Würden sich schnelle Objekte aber quer zur Bewegungsrichtung kontrahieren, so würde das aus der Sicht der Reisenden im Zug bedeuten, dass der Schienenabstand kleiner geworden ist! Und wir hätten die Situation, dass die Theorie verlangt, dass die Spurweite gleichzeitig zu gross und zu klein ist. Und dies ist definitiv nicht möglich: Es gibt also keine ‘Querkontraktion’.
Fassen wir zusammen:
Schnelle Objekte erscheinen in Bewegungsrichtung verkürzt (Schlagwort ‘Längenkontraktion’). Die am ruhenden Objekt gemessene Länge ist immer die längste, es gilt das Prinzip der maximalen Eigenlänge. Senkrecht zur Richtung der Relativbewegung stimmen die Messwerte der Beobachter überein. Es gelten die folgenden Formeln:
Zudem stimmt der Wert des Wurzelausdrucks für beide Bezugssysteme überein, da das Quadrat der Relativgeschwindigkeit in beiden Bezugssystemen denselben Wert annimmt.
Dass es keine Querkontraktion gibt ist übrigens ganz wesentlich für unsere Argumentation in B2 auf p.23 ! Andernfalls wäre der vom Licht zurückgelegte Weg senkrecht zu v nicht in beiden Systemen gleich lang, und wir hätten keine eindeutige Länge der entsprechenden Kathete. Die senkrecht stehende Lichtuhr wird also nur schmaler, nicht kürzer oder länger. Da haben wir ja nochmals Glück gehabt ...
Epstein’s kleine Flotte sieht also, wenn sie einmal ruht und ein zweites Mal sehr schnell an einem Beobachter vorbeizieht, etwa so aus ( Abbildungen [10-58] ):