I8     Der Einstein-Thirring-Lense-Effekt


Newtons Versuch mit dem aufgehängten Wassereimer scheint ja zu zeigen, dass das Wasser im Eimer weiss, ob es rotiert oder nicht. Ernst Mach hat 1883 Newtons Folgerung, dass ein absoluter Raum existiere, kritisiert und verlangt, dass rotierende Massen Inertialsysteme in ihrer Nähe beeinflussen müssten. Die beiden österreichischen Physiker Hans Thirring und Joseph Lense haben 1918 gezeigt, dass Einsteins ART dieses Problem löst: Rotierende Massen ziehen die Metrik der Raumzeit ein bisschen mit, verdrillen diese ein wenig oder erzeugen im Extremfall eine wirbelähnliche Struktur in der Raumzeit. Ein aus dem OFF frei fallendes Objekt bewegt sich daher nicht mehr ‘geradlinig’ auf das Zentrum einer kugelförmigen Zentralmasse zu, wenn diese rotiert:


Dieses ‘Mitziehen’ des Raumes (englischer Suchbegriff ‘frame dragging’) müsste sich bei einem Satelliten, der die Erde auf einer polaren Bahn umrundet, in einer kleinen Drehung der Bahnebene bemerkbar machen:

       nach Newton                                          nach Einstein-Thirring-Lense

Franz Embacher hat freundlicherweise erlaubt, diese Graphik seiner Präsentation zum Thirring-Lense-Effekt zu entnehmen, die unter http://homepage.univie.ac.at/Franz.Embacher/Rel/ oder hier heruntergeladen werden kann. Diese Seite ist ohnehin eine wahre Schatzkammer !


Im Oktober 2004 haben I. Ciufolini und E.C. Pavlis von der Universität Lecce ihre Analyse [40] der Bahndaten zweier Satelliten (LAGEOS und LAGEOS 2) vorgelegt. Diese Satelliten wurden eigens als Zielobjekte fürs Laser Ranging (siehe I7) gestartet. Aus den Schwankungen und Unregelmässigkeiten in den Bahnen haben die Geologen viele Informationen über die Feinstruktur des Gravitationsfeldes resp. über die Dichteverteilung im Erdinnern gewonnen. Ciufolini und Pavlis haben mit enormem Aufwand versucht, alle anderen Einflüsse auf die Bahnen dieser Satelliten (zum Beispiel den Strahlungsdruck der Sonne !) rechnerisch zu eliminieren, um schliesslich die winzigen 31 Milli-Bogensekunden pro Jahr des Thirring-Lense-Effektes zu isolieren. Sie meinen, dass ihnen dies mit einer Genauigkeit von etwa ± 10% gelungen sei.

Wissenschaftler der NASA und der Stanford University möchten diesen Effekt mit dem Satelliten ‘Gravity Probe B’ mit einer anderen Methode auf 1% genau messen. Sie finden ausführliche Informationen dazu im Internet; es ist faszinierend, wie dieses Experiment wieder einmal die Grenzen des technisch Machbaren auslotet! Die eigentlichen Messungen sind im August 2006 abgeschlossen worden, die Auswertungen sollten jetzt (Januar 2007) beendet sein, und nach der Überprüfung durch kritische Experten sollten die Ergebnisse im April 2007 präsentiert werden. Gerade nach den Untersuchungen von Ciufolini und Pavlis erwartet niemand, dass die ART widerlegt wird. Wird Einsteins ART aber auf dem 1%-Niveau bestätigt, bedeutet das das Ende einiger konkurrierender Theorien.

Gravity Probe B arbeitet mit vier Kreiseln aus hochpräzise geschliffenen Quarzkugeln. Die Änderungen der Rotationsachsen werden relativ zum Satelliten bestimmt. Dieser wird mit einem kleinen Teleskop so stabil wie möglich auf den Stern HR 8703 im Sternbild Pegasus ausgerichtet, dessen Eigenbewegung sehr gut bekannt ist. Dabei werden gleichzeitig zwei Effekte gemessen:

  1. Der ‘geodätische’ Effekt, den wir in I1 als Periheldrehung vor allem beim Merkur kennengelernt haben. Er besteht in einem Abkippen der Kreiselachse in der Bahnebene und sollte etwa 6.6 Bogensekunden betragen. Die Messgenauigkeit von Gravity Probe B ist hier besser als 0.01%.

  2. Der Thirring-Lense-Effekt, der ein Abkippen der Kreiselachse senkrecht zur Bahnebene bewirkt und etwa 0.041 Bogensekunden betragen sollte. Dieser Effekt könnte mit einer Genauigkeit von etwa 1% gemessen werden.

Ich möchte Sie nochmals ermuntern, sich Berichte, Bilder und auch didaktisch aufbereitetes Material zu diesem aktuellen Test der ART im Internet anzuschauen. Die Suchbegriffe habe ich erwähnt, sie bleiben länger aktuell als konkrete Webadressen.


Nachtrag vom Januar 2009: Das Experiment hat seine hoch gesteckten Ziele leider nicht erreicht, das Signal zum 'frame-dragging-effect' geht praktisch unter in einem nicht vorhergesehenen 'Grundrauschen'. Weblinks:  wiki und  Stanford University


Den geodätischen Effekt können wir mit Epstein [10-214f] schön illustrieren. Wir wiederholen einfach die Idee vom Abschnitt I1 p.135 und zeichnen zusätzlich Kreiselachsen ein. Links haben wir Newtons ‘flache’ Welt, in welcher die Kreiselachse ihre Richtung absolut beibehält, im gekrümmten Raum der ART rechts ist die Kreiselachse nach einem Umlauf um einen kleinen Winkel abgekippt: