H1    Gravitation und Krümmung der Raumzeit


Wir zeichnen nochmals ein Raumzeitdiagramm, wie wir es von der SRT her kennen und wie sie im Kapitel C eingeführt worden sind:

 


An den Orten xA und xB soll je eine Uhr stationiert sein, in A und B sollen beide Uhren auf null gestellt worden sein. Durch die Projektion der raumzeitlichen Position der Uhren auf die Zeitachse können wir später jederzeit ermitteln, welche Zeit diese Uhren dort anzeigen. Auf der Zeitachse kann man für jedes Objekt die seit dem Start des Vorgangs verstrichene Eigenzeit ablesen.

Nun sei die Gravitation am Ort xB stärker als in xA. Was ist jetzt zu tun, damit am Ort xB, also entlang der Bahn BB’ durch die Raumzeit, die Zeit etwas weniger schnell vergeht als am Ort xA, also entlang des genau gleich langen Weges AA’ durch die Raumzeit? Epstein zeigt uns die ebenso einfache wie elegante Lösung: Wir brauchen nur die Zeitachse ein wenig von B wegzubiegen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen!

Objekte, die am Ort xA verweilen, bewegen sich damit auf einem Kreis um Z mit Radius ZO+xA , entsprechendes gilt für ortsfeste Objekte in xB. Wichtig ist, dass die beiden Bogenstücke AA’ und BB’ genau gleich lang sind. Diese Bogenlänge gibt an, wie lange der Vorgang für einen Beobachter im OFF gedauert hat. Die für A respektive B verstrichene Eigenzeit können wir wieder ablesen, wenn wir A’ respektive B’ vertikal auf die jetzt kreisförmige Zeitachse projizieren. Dazu müssen wir nur A’ und B’ mit Z verbinden. Die Uhr in B’ zeigt offenbar weniger Zeit an als diejenige in A’ !


Die Krümmung der Zeitachse, also der Kehrwert des Radius ZA = ZA’, ist entscheidend dafür, wie stark der Effekt ist am Ort xA . Diese Krümmung ist abhängig vom Abstand r vom Zentrum der Zentralmasse. Diese befindet sich rechts von xB, da ja die Gravitation in xB stärker ist als in xA . Ist die Krümmung null, d.h. ist der Radius ZO unendlich gross wie im oberen Epsteindiagramm, so wirkt keine Gravitation und wir sind zurück in der SRT.

Wir haben jetzt das Verhalten von ortsgebundenen Objekten in einem Gravitationsfeld beschrieben. Als Beispiele für solche Objekte können Sie sich einen Apfel in den Niederlanden oder einen Tannenzapfen in den Schweizer Alpen vorstellen, die beide fest an ihrem Ast hängen. Was geschieht aber, wenn die Verbindung zwischen dem Stiel und dem Zweig reisst? Das Epstein-Diagramm hält auch eine Antwort auf diese Frage bereit:

Apfel und Zweig befinden sich zum Zeitpunkt null am Ort A der Raumzeit. Genau dann soll die Verbindung der beiden gekappt werden. Der Zweig bewegt sich wie gehabt ortsfest von A nach C, während sich der Apfel tangential vom Kreisbogen AC entfernt und entlang der rot gestrichelten Linie nach B gelangt ! Für den frei fallenden Apfel gibt es ja keine Gravitation mehr, für ihn stellt sich die Sache eher so dar, dass der Baum von der Erde daran gehindert wird, einer Trägheitsbahn zu folgen. Nach kurzer Zeit liegt die Distanz ∆x zwischen Apfel und Zweig, wobei der Apfel sich in diejenige Richtung bewegt hat, in der das Massenzentrum liegt. Die Bogenlänge AC und die Länge der Strecke AB sind dabei wieder genau gleich lang.
Der Zweig überstreicht den Bogen AC proportional zur Zeit. Ist er am Ort P auf diesem Bogen, so ist der Winkel zwischen der Tangenten an den Kreisbogen in P und der roten Linie AB gleich dem Winkel PZO. Dieser Winkel gibt aber an, wie schnell sich der Apfel momentan vom Zweig entfernt, bedeutet also nichts anderes als die Relativgeschwindigkeit von Apfel und Zweig. Wir können also sogar das Fallgesetz von Galilei aus dem Diagramm herauslesen: Unabhängig von der Masse des Apfels nimmt seine Geschwindigkeit proportional zur verstrichenen Zeit zu. Wir erinnern aber nochmals daran, dass dieses Gesetz einen eingeschränkten Geltungsbereich hat: v soll bei uns immer viel kleiner als c bleiben !

Der Winkel zwischen zwei Kurven im Raumzeit-Diagramm bedeutet also immer noch eine Relativgeschwindigkeit. Genauer:  sin(φ ) = v/c ! Der maximal mögliche Winkel ist immer noch 90º . Licht bewegt sich wie gehabt senkrecht zur Zeitachse. Eine quantitative Auswertung dieses Zwischenwinkels für den Fall von Äpfeln an der Erdoberfläche ist aber heikel, wie die Rechnung im Abschnitt H3 zeigen wird. Vorher wollen wir unsere krummen Raumzeit-Diagramme noch verwenden, um eine neue Variante des Zwillings-Paradoxons darzustellen.