G2    Das Äquivalenzprinzip


Was macht Einstein, wenn zu einem experimentellen Ergebnis keine logische Erklärung gefunden werden kann? Er macht das zu erklärende Faktum zum Ausgangspunkt einer neuen Theorie! Die unerklärliche Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat er (mit Rückendeckung von Maxwell) einfach zum Prinzip erhoben und darauf die SRT begründet. Genauso packt er auch die Gravitation an - er macht aus der Gleichheit der schweren und der trägen Masse ein Axiom.

Dieses Äquivalenzprinzip von Einstein ist so wichtig, dass wir es noch auf verschiedene andere Arten formulieren wollen (nach [27] müssten wir es das ‘starke Äquivalenzprinzip’ nennen):

  1. Es lässt sich prinzipiell mit lokalen Experimenten nicht feststellen, ob ein Labor im Gravitationsfeld einer grossen Masse ruht und dort die Fallbeschleunigung g gemessen wird oder ob es gravitationsfrei der konstanten Beschleunigung g ausgesetzt ist.

  2. Es gibt keine lokalen Experimente, die unterscheiden können, ob ein Labor in einem Gravitationsfeld frei fällt oder ob es unbeschleunigt in einem gravitationsfreien Raum ruht.

  3. In einem homogenen Gravitationsfeld laufen alle Vorgänge genau gleich ab wie in einem gleichförmig beschleunigten, aber gravitationsfreien Bezugssystem.

  4. Ein kleines, in einem Gravitationsfeld frei fallendes und nicht rotierendes Labor ist ein Inertialsystem im Sinne der SRT.

  5. Die Wirkung einer Schwerkraft kann lokal durch eine passende Beschleunigung erzeugt oder aufgehoben werden.

In der dritten Formulierung ist die Forderung, dass die Experimente ‘lokal’ sein sollen, sich also nicht über ein ‘grosses’ Raumgebiet erstrecken sollen, ersetzt durch die Forderung, dass das Gravitationsfeld ‘homogen’ sein soll, was natürlich in allen Fällen auch nur in einem kleinen Raumgebiet in sehr guter Näherung gilt. Die dritte Formulierung hat Einstein selber in seiner populären Darstellung [29] der Relativitätstheorien derart plastisch ausgemalt, dass man an eine bewusste Bezugnahme auf die Schilderung der Phänomene im Schiffsbauch durch Galilei (siehe Zitat in A2) denken muss:

“Wir denken uns ein geräumiges Stück leeren Weltraumes, so weit weg von Sternen und erheblichen Massen, dass wir mit hinreichender Genauigkeit den Fall vor uns haben, der im GALILEIschen Grundgesetz vorgesehen ist. Es ist dann möglich, für diesen Teil der Welt einen GALILEIschen Bezugskörper zu wählen, relativ zu welchem ruhende Punkte ruhend bleiben, bewegte dauernd in geradlinig gleichförmiger Bewegung verharren. Als Bezugskörper denken wir uns einen geräumigen Kasten von der Gestalt eines Zimmers; darin befinde sich ein mit Apparaten ausgestatteter Beobachter. Für diesen gibt es natürlich keine Schwere. Er muss sich mit Schnüren am Boden befestigen, wenn er nicht beim leisesten Stoss gegen den Boden langsam gegen die Decke des Zimmers entschweben will.
In der Mitte der Kastendecke sei aussen ein Haken mit Seil befestigt und an diesem fange nun ein Wesen von uns gleichgültiger Art mit konstanter Kraft zu ziehen an. Dann beginnt der Kasten samt dem Beobachter in gleichförmig beschleunigtem Fluge nach “oben” zu fliegen. Seine Geschwindigkeit wird im Laufe der Zeit ins Phantastische zunehmen - falls wir all dies beurteilen von einem anderen Bezugskörper aus, an dem nicht mit einem Stricke gezogen wird.
Wie beurteilt aber der Mann im Kasten den Vorgang? Die Beschleunigung des Kastens wird vom Boden desselben durch Gegendruck auf ihn übertragen. Er muss also diesen Druck mittels seiner Beine aufnehmen, wenn er nicht seiner ganzen Länge nach den Boden berühren will. Er steht dann im Kasten genau wie einer in einem Zimmer eines Hauses auf unserer Erde steht. Lässt er einen Körper los, den er vorher in der Hand hatte, so wird auf diesen die Beschleunigung des Kastens nicht mehr übertragen; der Körper wird sich daher in beschleunigter Relativbewegung dem Boden des Kastens nähern. Der Beobachter wird sich ferner überzeugen, dass die Beschleunigung des Körpers gegen den Boden immer gleich gross ist, mit was für einem Körper er auch den Versuch ausführen mag.
Der Mann im Kasten wird also, gestützt auf seine Kenntnisse vom Schwerefelde  ...  zum Ergebnis kommen, dass er samt dem Kasten sich in einem ziemlich konstanten Schwerefelde befinde. Er wird allerdings einen Augenblick verwundert sein darüber, dass der Kasten in diesem Schwerefelde nicht falle. Da entdeckt er aber den Haken in der Mitte der Decke und das an demselben befestigte gespannte Seil, und er kommt folgerichtig zum Ergebnis, dass der Kasten im Schwerefelde ruhend aufgehängt sei.
Dürfen wir über den Mann lächeln und sagen, er befinde sich mit seiner Auffassung im Irrtum? Ich glaube, wir dürfen das nicht, wenn wir konsequent bleiben wollen, sondern wir müssen zugeben, dass seine Auffassungsweise weder gegen die Vernunft noch gegen die bekannten mechanischen Gesetze verstösst. Wir können den Kasten, wenn er auch gegen den zuerst betrachteten “GALILEIschen Raum” beschleunigt ist, dennoch als ruhend ansehen. Wir haben also guten Grund, das Relativitätsprinzip auszudehnen auf relativ zueinander beschleunigte Bezugskörper und haben so ein kräftiges Argument für ein verallgemeinertes Relativitätspostulat gewonnen.
Man beachte wohl, dass die Möglichkeit dieser Auffassungsweise auf der fundamentalen Eigenschaft des Schwerefeldes beruht, allen Körpern dieselbe Beschleunigung zu erteilen, oder, was dasselbe bedeutet, auf dem Satz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse. Würde dieses Naturgesetz nicht bestehen, so würde der Mann im beschleunigten Kasten das Verhalten der Körper seiner Umgebung nicht durch die Voraussetzung eines Gravitationsfeldes deuten können, und er wäre auf Grund keiner Erfahrung berechtigt, seinen Bezugskörper als einen “ruhenden” vorauszusetzen.
Der Mann im Kasten befestigte an der Innenseite der Kastendecke ein Seil und an dessen freiem Ende einen Körper. Durch diesen wird bewirkt werden, dass das Seil in gespanntem Zustande “vertikal” herabhängt. Wir fragen nach der Ursache der Spannung des Seils. Der Mann im Kasten wird sagen: “Der aufgehängte Körper erfährt in dem Schwerefeld eine Kraft nach unten, welcher durch die Seilspannung das Gleichgewicht gehalten wird; massgebend für die Grösse der Seilspannung ist die schwere Masse des aufgehängten Körpers.” Andererseits wird aber ein Be[obachter], der frei im Raum schwebt, den Zustand so beurteilen: “Das Seil ist gezwungen, die beschleunigte Bewegung des Kastens mitzumachen und über-trägt diese auf den daran befestigten Körper. Die Seilspannung ist so gross, dass sie die Beschleunigung des letzteren gerade zu bewirken vermag. Massgebend für die Grösse der Spannung im Seile ist die träge Masse des Körpers.” Wir sehen aus diesem Beispiele, dass unsere Erweiterung des Relativitätsprinzips den Satz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse als notwendig erscheinen lässt. Damit ist eine physikalische Interpretation dieses Satzes gewonnen.”      [29-43ff]


Vielleicht kann ich Sie mit diesem langen Zitat dazu anstiften, es selber mal mit einem der allgemein verständlichen Texte von Einstein zu versuchen. Natürlich gibt es auch viele Zeichnungen, Animationen, Videos und DVD’s, welche diese Schilderung all denjenigen vor Augen führen, die sich diese Bilder bei der Lektüre nicht selber machen mögen. Sie sind alle nett oder gar lustig, schauen Sie sich ruhig einige davon an. Es ist amüsant, Professor Albert dabei zuzuschauen, wie er gemütlich samt Lift im freien Fall den Liftschacht hinuntersaust. Mich selber interessiert der Fallturm in Bremen, wo man sowas für einige Sekunden experimentell tatsächlich durchführen kann, viel mehr als diese Comiczeichnungen zu einem Gedankenexperiment.