C2     Epstein-Diagramme


Das Dogma lautet: Alle bewegen sich immer und überall mit c durch die 4d-Raumzeit. Jeder nennt die Richtung, in der er sich bewegt, seine Zeit, und die dazu orthogonalen Richtungen bilden seinen Raum. Eine Sekunde Zeit entspricht dabei 300’000’000 m = 300’000 km Raum (man könnte sagen, dass man nicht alles schon früher gemerkt hat sei eine Folge dieses ‘Missverhältnisses’ ...).

Nun wollen wir diese Bewegung durch die 4d-Raumzeit graphisch darstellen und haben dabei natürlich dasselbe Problem wie alle anderen, welche vierdimensionale Sachverhalte bildlich darstellen wollen: Man muss ja schon froh sein, wenn Zeichnungen von dreidimensionalen Gebilden auf einem Blatt Papier klar verstanden werden. In unserem Fall sind diese Schwierigkeiten aber leicht auszuräumen: Wir stellen nur eine Raumrichtung dar, und zwar diejenige, in welcher die beiden Bezugssysteme sich relativ zueinander bewegen! In den beiden anderen Raumrichtungen geschieht ja sowieso nichts Aufregendes nach unseren Formeln von B3 !

Wir werden immer ein schwarzes Koordinatensystem mit dem Ursprung A und ein rotes mit dem Ursprung B verwenden, so wie sie auf p.26 oben gezeichnet sind. B bewege sich mit v entlang der x-Richtung von Schwarz und A bewege sich mit -v entlang der x’-Richtung von Rot. A und B seien sich in O begegnet und sollen dabei beide ihre Uhren auf null gestellt haben. Jeder messe zudem mit Uhren, die im jeweiligen System mit den Mutteruhren in A resp. B synchronisiert sind. A und B ruhen räumlich beide in ihrem eigenen System und bewegen sich demnach (in ihrem eigenen System) nur durch die Zeit. Wir machen einen ersten Versuch:

 


Um Komplikationen mit der Kausalität zu vermeiden müssen wir verbieten, dass Rot, der in O mit A eine Wechselwirkung hatte, je in die zeitliche Vergangenheit von Schwarz vor O einwirken kann. Das bedeutet, dass der Winkel φ nicht grösser als 90º werden darf. Sonst könnte Rot nach einiger Zeit seine Triebwerke zünden, an den Ort von O zurückkehren und dort zu einem Zeitpunkt eintreffen, der noch vor der Wechselwirkung zwischen A und B liegt, die ja schon stattgefunden hat. Wir halten ausdrücklich fest:
Für Systeme, die miteinander wechselwirken können, darf der Winkel φ zwischen den beiden Zeitachsen (also den Richtungen der Reise durch die 4d-Raumzeit) nicht grösser als 90º sein.

Wichtig ist, dass die Strecken OA und OB gleich lang sind: Beide legen in derselben Zeit immer gleich viel Weg durch die Raumzeit zurück ! Das ist Epsteins Dogma. Welche Bedeutung hat dabei der Winkel zwischen den Zeitachsen? Zeichnen wir noch die Richtung der x-Achse von Schwarz ein und markieren die Stelle, die B in dieser x-Richtung erreicht hat, derweil Schwarz nur um die Strecke OA älter geworden ist:

 


Es ist also OA = OB. OA ist für Schwarz einfach die Zeit, die seit der Begegnung mit B in O verstrichen ist. In dieser Zeit hat B aus schwarzer Sicht räumlich die Strecke OX zurückgelegt. Daraus

da ja im rechtwinkligen Dreieck OXB bei der Ecke B der Winkel φ wieder auftritt. Den Ort von B im Koordinatensystem von A erhalten wir also einfach, indem wir die raumzeitliche Position von B senkrecht auf den Raum von A projizieren. Dabei haben wir allerdings ein kühnes Durcheinander von Masseinheiten verwendet: OA, OB und OX sind vorerst mal Strecken in der Raumzeit. Bei der Reduktion auf reine Zeiten und Distanzen müssen wir berücksichtigen, dass 1 Sekunde Zeit einer Distanz von 1 Lichtsekunde, also etwa 300’000 km entspricht! Wenn wir obenstehende Gleichung einheitenmässig sauber notieren sieht sie folgendermassen aus:

Die einheitenfreie Zahl sin(φ) entspricht also im Epstein-Diagramm dem Verhältnis von v zu c ! Nun haben wir die Sicht von Schwarz bevorzugt. Das ist unnötig, die Epstein-Diagramme haben (im Gegensatz zu den Minkowski-Diagrammen !) die schöne Eigenschaft, dass sie eine symmetrische Situation auch symmetrisch darstellen. Wir zeichnen also obiges Diagramm nochmals, dabei soll aber auch B eine Raumachse erhalten:

 

Sicht von A: Während der Zeit OA legt B den Weg OX zurück.
Sicht von B: Während der Zeit OB legt A den Weg OX’ zurück.


Die beiden Dreiecke OXB und OX’A sind kongruent, in beiden Koordinatensystemen ergibt sich betragsmässig derselbe Wert für die Relativgeschwindigkeit v. Wegen den gewählten Orientierungen der Koordinatenachsen erhalten wir allerdings unterschiedliche Vorzeichen für v : Für Rot bewegt sich A in negativer x’-Richtung, während sich B für Schwarz in positiver x-Richtung bewegt. Damit erhalten wir vollständige Übereinstimmung mit der Darstellung in B3 .

Vielleicht haben Sie sich schon gewundert, dass bei den Zeitachsen nicht t resp. t’ vermerkt ist. Den Grund dafür decken wir gleich im nächsten Abschnitt auf. Zuerst wollen wir noch eine kleine Rechnung durchführen, die uns ein ganz wichtiges Ergebnis liefert. Für spitze Winkel gilt

Der Wurzelausdruck, der für die Berechnung der Zeitdilatation und der Längenkontraktion gebraucht wird, hat im Epstein-Diagramm eine einfache geometrische Bedeutung! Für Schwarz gesprochen: sin(φ) projiziert OB auf meine Raumachse, cos(φ) projiziert OB auf meine Zeitachse. Das wollen wir sofort ausbeuten.